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exex_2005/akademie

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nesa gschwend: moments of a person. videoperformance

mit der videoperformance moments of a person bewegt sich nesa gschwend an der schnittstelle zwischen bildnerischer und darstellender kunst. sie verknüpft darin zwei ausdrucksformen, die ihr bisheriges schaffen gleichermassen geprägt haben.
wurde sie anfangs der 80er jahre als mitbegründerin der performance-gruppe pan-optikum in berlin, ab 1986 als solo-performerin in st.gallen bekannt, so schuf sie in den vergangenen jahren mehrheitlich installative, objekthafte und malerische arbeiten.
mit dem neuen performanceprojekt möchte die künstlerin diese beiden schaffensebenen einander annähern und in berührung bringen, um zu untersuchen, wie weit sie sich ineinander verschränken lassen.

am ursprung des projektes stehen bildnisse; ein thema, das nesa gschwend schon seit mehreren jahren beschäftigt. die köpfe entstehen als selbstbildnisse, zeigen aber nicht erkennbare äussere züge der künstlerin, sondern wirken wie schemenhaft aus dem nebel auftauchende erscheinungen. nesa gschwend zeichnet darin nicht ihr spiegelbild, sondern versucht vielmehr ein inneres bild von sich selbst zu schaffen, sich ganz von ihrem inneren auge her zu betrachten, hinter die äussere physiognomie – sozusagen hinter die haut – zu blicken. sie arbeitet mit wachs und graphit; schicht um schicht schmelzen papier, zeichnung und wachs ineinander, bis sich eine an pergament, resp. wiederum an haut erinnernde, halb-transparente materialität entwickelt. so sind es keine selbstporträts im klassischen sinne, mimik und blick sind kaum erkennbar, es sind eher gesichte denn gesichter. was jahrhunderte der porträtmalerei geprägt hat – nämlich in den äusseren zügen des menschlichen gesichts spuren der persönlichkeit, des gelebten lebens und der befindlichkeit zu lesen – sucht man in diesen bildnisköpfen vergebens. und doch findet sich in ihnen eine vielfalt von stimmungslagen, ausdrücken, mal wirken sie eher in sich gekehrt, verträumt, dann wieder aufmerksam, offen, lebhaft. die künstlerin scheint eine bildsprache gefunden zu haben, mit der sie das innenleben, den seelenzustand beinahe befreit vom stofflichen und körperlichen visuell erfassen kann, ein paradoxon eigentlich. diese hingehauchten, fast transparenten gesichte erfüllen den spielraum, in dem sich die performerin bewegt. fünf mal zwanzig sind es, die in fliessenden übergängen an die rückwand projiziert werden. davor ein quadratisches wachstuch, mit mehl bestäubt. in dieser installation spielen die fünf stationen der performance.

nesa gschwend zeichnet einen weg vom bewussten zum unbewussten, der in einen traum mündet. wachstuch und mehl bezeichnen den übergang vom äusseren zum inneren leben der dargestellten person. so bewegt sie sich zunächst um das feld, umschreitet es, stellt schuhe an dessen rand, isst, und betritt erst im vierten bild die innere, unberührte weisse fläche. darin bewegt sie sich wiederum am rande, zieht eine spur, nimmt den raum in besitz und lässt sich schliesslich in dessen mitte nieder, wo sie sich einen schlafplatz bereitet, indem sie das mehl verstreicht, mit händen und haaren ebnet und sich hinlegt. am ende zieht sie das wachstuch um ihren körper zusammen und bleibt – einem cocon gleich – liegen. diese form bleibt am ende als leere hülle zurück; nachdem die person still den raum verlassen hat, ist dieser ein anderer geworden.

als dritte ebene zu bildnissen und performance tritt die tonebene hinzu. das gemurmel und kratzende, manchmal hackende geräusch eines schreibprozesses kehrt zu beginn den gedankenfluss der person nach aussen. es ist die aufzeichnung der inneren bilder und vorstellungen, die später in der performance gestalt bekommen. die schriftbilder, die im rahmen der performance gezeigt werden, entstehen linkshändig und in spiegelschrift, im bestreben, in einen zustand unkontrollierten, nicht selbstreflektierenden denkens zu kommen, verwandt dem automatischen schreiben der surrealisten. doch im unterschied zu diesem entziehen sich gschwends schriftbilder am ende der lesbarkeit, der lineare text wird zum simultanen bild für erinnerung.
«i am» – «ich bin» steht am anfang des zweiten bildes, das satzfragment wird später ergänzt mit einer vielzahl von adjektiven und partizipien, gesprochen nicht von der performerin selbst, sondern von einer weiblichen stimme aus dem hintergrund. diese erzählt auch im letzten bild die szenen eines traumes, der sich stetig wiederholt.

die drei ebenen der performance, das gemalte bildnis, die gespielten szenen, und die geräusche, klänge und worte verschränken sich zu einem raumgefüge, das sich langsam füllt und verdichtet. die agierende person kehrt im laufe der verschiedenen stationen sozusagen ihre innenwelt nach aussen. der raum, der zunächst aussen- und handlungsraum ist, verwandelt sich zusehends in den innen- oder seelenraum der person. was die köpfe bereits andeuten, wird in der performance weitergeführt: ein blick hinter die haut, hinter die äussere hülle. die performerin führt das publikum vom äusseren lebenslauf – zeichen dafür sind die abgelegten leeren schuhe – zum reichen innenleben einer person, das sich in den gesichten spiegelt und sich in ihrer traumwelt offenbart. die fünf stationen können in verschiedenen zeitdimensionen, sei es als folge von lebensabschnitten, als tagesablauf oder als kurzen augenblick nur erlebt werden.

nesa gschwend erforscht in ihrem schaffen zwischenbereiche und schnittstellen, nicht nur der künstlerischen praxis und ihrer ausdrucksformen, sondern in erster linie der menschlichen natur. der übergang vom bewussten zum unbewussten denken und handeln, vom wach- zum traumzustand, von der konstanz des charakters zur wandelbarkeit der stimmungen ist es, wo die performance moments of a person angesiedelt ist. in der verdichtung von raum, bild und ton lotet sie die schichten aus, die unter der oberfläche dessen liegen, was wir als «person» bezeichnen – ein begriff, der zwar ein einzelnes individuum meint, und doch kaum individuelles, sondern vielmehr etwas allgemeines und somit kollektiv gültiges und erlebbares vermittelt.

corinne schatz, mai 2004

 

 

 

nesa gschwend in ihrer videoperformance «moments of a person».