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exex_2005/exex.change nr. 4/presse

Schaukeln und Lauschen
Karin Bühler lädt zu einem Hörerlebnis im Projektraum exex ein

Die Ausstellung «Ich weiss wo dein Haus wohnt» geht in die zweite Runde. Karin Bühler verwandelt den Raum im exex in eine künstliche Idylle. Auf einer Schaukel lauscht man, was Jung und Alt übers Leben denken.

 

Christina Weder

 

Während zehn Tagen hatten Andreas Helbling und Zeljka Marusic ihre fiktive Fernsehstation «Balkan TV» im Projektraum stationiert. Nun haben sie ihr mobiles Studiohäuschen abgebrochen und machen Platz für die zweite Installation der dreiteiligen Ausstellungsreihe «Ich weiss wo dein Haus wohnt». Karin Bühler holt den Aussenraum nach innen und richtet im Projektraum exex einen künstlichen Park ein. «Im Grünen» nennt sie ihre Installation.

 

Stadtparkgeräusche

Einige Blätter kleben auf der Fensterfront, durch die Scheiben dringt grünes Licht nach draussen. Tritt man ein, so zwitschern leise die Vögel, zirpen die Grillen, schreien Kinder und dröhnt Motorenlärm aus der Ferne. Die Geräuschkulisse aus dem Stadtpark hat Einzug gehalten, fein unterlegt mit musikalischen Klängen. Karin Bühler lädt zum Verweilen ein. Hinter dem Bankenquartier im Bleicheli will sie ein lauschiges Plätzchen schaffen - eine grüne Oase nahe dort, wo zurzeit der rote Teppich mit viel Lärm «ausgerollt» wird. Den Ausstellungsraum hat sie fast unmerklich verändert. Zu den bestehenden weissen Pfeilern hat sie einige Attrappen dazugestellt. So hat sie den Raum gegen die Fensterfront abgeschirmt und seine - wie sie sagt - «grottenhafte» Wirkung verstärkt. Eine seltsame Mischung aus Geborgenheit und Kühle, Idylle und Künstlichkeit macht sich breit. Im hellgrünen Kunstlicht liegen Picknickdecken bereit, die an der Vernissage von Kindern sofort in Beschlag genommen wurden. Eine breite Schaukel schwingt mittendrin.

 

Schaukel der Sinnlichkeit

Schaukeln tauchen bereits in einer früheren Installation von Karin Bühler auf. Auf dem Dachboden des Zeughauses in Teufen waren im 2004 fünf Schaukeln über flauschigem Teppich in rosa Licht so montiert, dass Zusammenstösse und Verwicklungen unvermeidlich waren. Eine Schaukelpartie blieb deshalb verwehrt. Im exex aber wird geschaukelt. Allein, zu zweit oder zu dritt lässt man in hellgrüner Beleuchtung die Beine baumeln, schwingt zwischen Himmel und Erde. Eine Inspiration war Fragnonards Rokoko-Gemälde «Die Schaukel», eine aufreizende Szene in der Waldlichtung. Schaukeln ist für Karin Bühler ein sinnliches Erlebnis und unbeschwerte Kindheitserinnerung.

 

Philosophisches Hörerlebnis

Zu beiden Seiten der Schaukel hat die Künstlerin Lautsprecher aufgehängt. Ans rechte Ohr dringen Kinder-, ans linke Ohr Erwachsenenstimmen. Karin Bühler fragte Kinder und Jugendliche, was sie in ihrem Leben erreichen wollen. Und sie fragte ältere Menschen, was sie in ihrem Leben erreicht haben. Die Antworten fügte sie zu einer Stimmencollage, in der die Aussichten der Jungen auf die Einsichten der Alten treffen. Karin Bühler fasst zusammen: «Kindergärtler haben einen kurzen Zeithorizont, Jugendliche antworten pragmatisch und für Ältere rückt das Berufsleben zunehmend in den Hintergrund.» Ein Junge will Fussballer werden, ein anderer einen Bauernhof gründen, ein Kleiner schnattert: «Ich will Krieger werden, dann kann ich mit einem richtigen Panzer fahren. Im Gegenzug erinnert sich eine Alte an Kriegszeiten zurück, als zweimal pro Tag Kartoffeln auf den Teller kamen. Ein Herr erzählt, er sei Grossvater geworden und eine Frau, ihre Kinder seien gut herausgekommen. Man schaukelt und lauscht, welche Gedanken sich Menschen über ihr Leben machen, übers Glück, das Lachen, Wichtigkeiten und Nichtigkeiten. Ein Junge wünscht sich, in seinem Leben alt zu werden. Und eine Alte träumt davon, auf dem Balkon in der Sonne zu liegen und nochmals ein Baby zu sein. So schliesst sich der Kreislauf des Lebens.

 

Aus dem ST.GALLER TAGBLATT vom Montag, 19. September 2005