Ursula Badrutt Schoch. Was hat ein Krokodil im Katharinen verloren?

Wer mit der Geschichte der Stadt St. Gallen und ihrem Bibliotheks- und Museumswesen nicht vertraut ist, wird sich die Frage unweigerlich stellen - oder den beiden verantwortlichen Künstlern Beliebigkeit als unzulässiges Mittel für eine überzeugende Ausstellung vorwerfen.

Das Krokodil gehört tatsächlich zu St. Gallen und seine temporäre Rückführung vom Natur-museum ins Katharinen hat durchaus seine Berechtigung: 1623 wurde der Stadtbibliothek dieses «greulich Thier» geschenkt, «um die Zierde der Bibliothek damit zu erhöhen». Die Bibliothek war damals seit wenigen Jahren im ehemaligen Kloster St. Katharinen, dem Knabengymnasium, untergebracht. Die Schenkung des über 4m langen Krokodils über-zeugte die Vorsteher der Bibliothek, neben Büchern auch andere «Seltenheiten aus dem Reiche der Natur und der Kunst» zu sammeln. Solche Raritäten und Kuriositäten erhöhten natürlich nicht nur die Zierde der Bibliothek, sondern auch die Neugierde und damit die Anzahl der Besucher. Und hier setzen Frank Keller und Bruno Steiger an. Das Krokodil, das damals den Anfang zum heutigen Naturmuseum markierte, benützen sie heute symbolhaft erneut als Initialzündung. Das Krokodil wird zur Metapher für einen möglichen neuartigen Umgang mit dem Ausstellungsraum in St. Katharinen und mit dem Ausstellungswesen von visarte.ost, der Regionalgruppe des Berufsverbandes visuelle Kunst Schweiz (vormals: GSMBA). Es markiert Präsenz, steigert die Attraktion und leistet wunderbare Publicrelations - damals wie heute.

Die GSMBA/visarte.ost und das Krokodil haben sozusagen im traditionsbedingten Gastrecht in St. Katharinen eine Gemeinsamkeit. Aus unterschiedlichen Gründen hat der Berufs-verband der visuellen Kunst davon in den letzten Jahren nur selten Gebrauch gemacht. Frank Keller und Bruno Steiger erinnern sich an diese Tradition und brechen sie gleichzeitig auf. Die beiden Künstler spielen mit den architektonischen und sozio-strukturellen Bedingungen, reizen die Möglichkeiten aus, leuchten in unbekannte Winkel und Ritzen, öffnen neue Zugänge, wagen sich an Grenzen und darüber hinaus.

Es geht nicht in erster Linie um eine Präsentation ihrer Arbeit, sondern um die Präsentation der Räume selber. Die Eingriffe sind materiell gesehen sehr minimal, ausser einigen Metern Draht, Licht und eben dem Krokodil ist gar nichts da. Mit Ausnahme von auserwählten Abenden bleibt der eigentliche Ausstellungssaal geschlossen. So können nicht nur Kosten gespart werden. Auch die Schwellenangst bleibt aus, weil keine Schwellen zum Überwinden da sind. Dafür kommt unsere voyeuristische Veranlagung zum Zug.

Der Ausstellungsraum im Katharinen wird von seinem gewachsenen Umfeld her, von seinem Negativ und seinen Löchern aus begriffen und auf die anschliessenden Plätze, Durch-gänge und Anbauten im urbanistischen Geviert hin geöffnet. Der Platz zwischen Bohl und Katharinen, der einst als Klostergarten diente, der dunkle Hinterhof zum ehemaligen Zeughaus, dann zum Stadttheater und heute zum Mc Donald, bekommt sein angestammtes Grün andeutungsweise zurück. Aus den Fenstern strömt ein kräftiges Orange als Bild für Kraft, Aktion und Feuer. Die Projektion in Blau wird zum offenen Himmel, zum Traum- und Fantasieland. Der Kreuzgang ist mit einem silberglänzenden Tunnel aus Drähten durchbrochen, und der Kellerraum ist als potentieller Ausstellungsraum irritierend widersprüchlich ausgeleuchtet.

Die Lust auf Krokodile und dergleichen ist geweckt.

 

St.Galler Tagblatt. März 2001.

 

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