Gernot Böhme. Kunst nach der Natur

 

Vortrag im Rahmen des Symposiums Andere Orte. Öffentliche Räume und Kunst



I. Einleitung

II. Natur im Museum

III. Kunst in naturhistorischen Museen

IV. Schluss

Ich hatte die Kunst in naturhistorischen Museen als eine Kunst nach der Natur eingeführt, im Sinne einer Kunst, die der Natur nachgeht, der schwindenden, sich entziehenden, verlorenen Natur. Sie ist aber nur ein Sektor in einem grösseren Spektrum der Zuwendung zur Natur innerhalb der Gegenwartskunst. Dabei ist gar nicht primär an Ökokunst im Sinne umweltkritischer Kunst[15] zu denken. Vielmehr gibt es der Natur nachgehende Kunst, in der die Kunst in die Natur hinausgeht bzw. sich der Natur aussetzt. Zur ersteren sind Beispiele von Robert Smithson, Richard Serra und Walter de Maria[16] zu rechnen, ebenso wie manche Arbeiten von James Turrell oder Christo.[17] Hier werden Landschaftsformen artikuliert, Naturphänomene sichtbar gemacht und eingefangen, Erfahrungsräume geschaffen. Zu letzterer Art möchte ich als beispielhaft die Arbeiten von Fridhelm Klein[18] nennen. Er lässt die Natur mit ihrer Witterung, Wind und Wetter, Regen, an seinen Kunstwerken mitarbeiten, bis hin zu ihrer potentiellen Auflösung. Eine besondere Art einer Kunst, die der Natur nachgeht, findet sich in den Materialbildern von Fritz Vahle. Es handelt sich hier um Assemblagen, in denen vorwiegend Fundstücke aus der Natur, aber auch quasi von der Natur zurückgenommene Bruchstücke kulturellen Schaffens versammelt werden, und zwar so, als seien diese Assemblagen von Natur. Sie wirken als Gewachsenes, Sedimentiertes, als Gespinst, als seien sie selbst Produkte der Natur. Ich habe deshalb diese Kunst eine Archäologie der Natur oder Erinnerung der Natur genannt.[19]

Zum Schluss sei ein Werk von Olaf Nicolai erwähnt, das den Titel Landschaft nach der Natur trägt und auf der documenta X zu sehen ist.[20] Nicolai hat auf grossen Lavabrocken künstlich Biotope geschaffen, die als solche als lebendige Einheiten im Museumszusammenhang erscheinen. Auch dies ein Nachgehen der Natur, eine nachgehende Kunst: Es ist die Kunst, die uns hier die Natur zurückholt - als künstliche Natur.

Kunst nach der Natur: Die Kunst heute kann die Natur nicht mehr als gegebene voraussetzen. Im Zeitalter schwindender Natur ist deren Thematisierung zwingend, lebensnotwendig. In den Zusammenhang dieser Thematisierung sind die Richtungen und Beispiele der Gegenwartskunst, die genannt wurden, einzuordnen.

 

 

15) z. B. Bernd Löbach-Hinweiser, Umweltkritische Kunst, Bd. 1 u. 2, Cremlingen: Designbuch Verlag 1985 u. 1989 weiterlesen

16) Richard Hoppe-Sailer, Land-art, in: Basler Zeitung, Magazin Nr. 21, 03.06.1995, S. 6-7. weiterlesen

17) James Turrell, z. B. Rodan Crater; Christo, z. B. Running Fence. weiterlesen

18) Fridhelm Klein, Der Rest des Netzes, München: Dt. Kunstverlag 1987. weiterlesen

19) G. Böhme, Archäologie der Natur in Fritz Vahles Materialbildern, im Druck. weiterlesen

20) Abbildungen in: Kunstforum 138, 1997, S. 190-191. weiterlesen


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