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exex_2007

matthias kuhn, can you now return to from where you came
eine einführung

«can you now return to from where you came» ist der abschluss einer trilogie – nach «travelogue» (2004 mit sam flowers, arno oehri, jürg rohr, matthias rüegg und chantal romani) und «warum die pilze hier und dort wachsen» (2005 mit jérémie gindre) – welche den narrativen möglichkeiten der kunst nachgeht. die frage ist ganz einfach: mit welchen mitteln erzählt die kunst geschichten? während die literatur sich fast ausschliesslich auf das medium buch beschränkt und die geschichten im rahmen eines sich von seite eins an entwickelden textes linear erzählt, hat die visuelle kunst – in besten sinne des wortes – multimediale narrative formen entwickelt, die vielschichtig, verzweigt und assoziativ funktionieren. «can you now return to from where you came» – der titel der ausstellung übrigens ein zitat aus dem wunderbaren song «clothes of sand» von nick drake – zeigt noch einmal zwei positionen, die sich in völlig unterschiedlicher art und weise narrativer techniken und strategien bedienen.

 

which is the way you will choose?

peter dew (*1967, lebt und arbeitet in st.gallen) ist ein sammler, ein bastler und tüftler. er trägt materialien wie drähte, plastikteile oder hölzer zusammen, baut aus gips, ytong und styropor seltsame objekte, die sich nicht selten auf bizarre weise an der natur anlehnen und baut damit ganze universen, verbindet die absurdesten gegenstände zu kleinstskulpturen, fügt diese wiederum in einen grösseren zusammenhang ein und setzt sie zueinander in beziehung. seine installationen machen auf den ersten blick einen unübersichtlichen und chaotischen eindruck, bei genauerer betrachtung sind sie in den einzelheiten jedoch sehr ordentlich ordentlich und äusserst präzis.

dews neuste installation «oh, but what if i want to go down that way?» gründet auf einem komplexen system von wegen und leitungen, also von verbindungen, die in einem grossen netzwerk die zum teil disparaten einzelteile zusammenbringen und zu einem einzigen geflecht von verweisen und bezügen verdichten. zuerst einmal ist seine installation aber ein spielplatz im kunstraum: bahnlinien, autobahnen, fusswege, raketenabschussbasen, park- und schrottplätze, denkmäler oder gedenkstätten, sperr- und foschungsgebiete und so weiter sind angedeutet, satelliten kreisen um die imaginäre welt, planeten umrunden im orbit endlos das modell. so entwickelt die aktuelle installation von peter dew zwischen einem fiktiven cape canaveral im norden, einer blauen ödnis im süden und einem planetennest im luft- oder eigentlich weltraum ein universum von grösster dichte und fulminanter absurdität.

dews arbeit lehnt sich in den details oft an filme oder songs an, stanley kubrick zum beispiel ist so ein fixpunkt, oder ganz aktuell hayao miyazaki. die bezüge sind immer assoziativ und bedienen sich der vorbilder mit grösster freiheit und grosser lust an der spielerischen weiterentwicklung. im dienst der uferlosen verflechtungen stehen neben den skulpturalen einzelteilen der installation auch zwölf texttafeln, die eine anzahl von titeln von realisierten, fiktiven oder noch ausstehenden objekten und projekten versammeln. die titel versammeln wortspiele, oder vielleicht besser wortklaubereien, und zahlreiche zitate aus songs und filmen – gehörte, gefundene und später notierte satzfetzen. sie verdichten die arbeit verbal und geben vieldeutige hinweise zur benützung der installation. einzelne dieser zeilen scheinen direkt von der installation zu sprechen und deuten mögliche lesarten an – «planet nest», «voyage of discovery» oder «picking up the pieces» zum beispiel – andere thematisieren eher den umgang mit der kunst – «today i don‘t mind what i‘m being shown» oder der wunderbare satz «read me first (see me later)». und selbstverständlich geht es immer wieder um die verstrebungen, die verbindungen, die wege, die hin- und wegführen und damit um die zusammenhänge, die zusammenhänge zwischen allem und jedem: «you can take the road that takes you to the stars, / i‘ll take the road that‘ll see me through.», oder die frage «which is the way you will choose?».

 

über die unmöglichkeit keine geschichten zu erzählen

am 8. märz 2006 reisten petra elena köhle und nicolas vermot petit-outhenin (*1977, leben und arbeiten in zürich) für ihr projekt «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» («auch wenn ich dich nicht sehen kann – du bist in meinem blickfeld») auf getrennten wegen nach palermo. 21 tage wollten sie in der stadt leben und eine untersuchung über die wahrscheinlichkeit einer zufälligen begegnung führen. ausgerüstet mit fotoapparat, diktafon, notizblock und gps-gerät, das die wege durch die stadt schritt für schritt aufzeichnete, verbrachten sie ihre tage flanierend in den strassen und gassen, am hafen und in den parks der stadt in der steten erwartung, den andern zufällig zu treffen, ihn in einem café sitzen, oder hinter der nächsten ecke auftauchen zu sehen. unter dem titel «über das eigenleben einer versuchsanordnung, oder von der unmöglichkeit keine geschichten zu erzählen» zeigen köhle und vermot in einer für die ausstellung entwickelten architektur eine dichte installation von texten und fotografien aus dem palermo-projekt.

wenn petra köhle und nicolas vermot im kunsthaus glarus (in einer ausstelllung die noch bis anfang mai zu sehen ist) als ersten teil der installation sich auf eine darstellung der fakten konzentriert haben, geht es im zweiten teil nun vor allem um die fiktionen, das heisst um jene geschichten, die sich in palermo in den drei wochen im letzten frühling zugetragen haben. die installation erzählt ausschweifend über politik, mafiöse verstrickungen, den alltag in der stadt, über begegnungen mit fremden, verpasste treffen und nicht zuletzt auch von einsamkeit, das heisst von der abwesenheit des andern.

für die präsentation der umfangreichen materialien haben köhle/vermot ein system von räumen – eigentlich zwei hotelzimmer – und gängen gebaut, welche sich fast kryptisch in den projektraum einpassen. die neuen räume unterstützen den versuch die materialien in eine art subjektive ordung zu bringen. ausgehend von den zwei verschiedenen positionen entwickeln köhle und vermot die geschichte ihres aufenthaltes parallel, gewissermassen aus den zimmern heraus, und zeigen in einer flächigen hängung von texten und fotografien die parallelen in den beiden tagesabläufen, zeigen, wo die geschichten auseinander- oder zusammenlaufen. die tagebücher beider künstler sind, je in einem raum, als audiodokumente zu hören. die aufzeichnungen aus 21 tagen palermo enthalten notizen zur eigenen befindlichkeit, beschreibungen der stadt und der unternehmungen, erzählungen von fremden, verschiedene gespräche mit zufallsbekanntschaften und immer wieder träume. die fotografien richten den fokus gezielt auf einzelne augenblicke, und zwischen den fotografien ergänzen auszüge aus den tagebüchern das bildmaterial und differenzieren die erzählung.

so setzt sich «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» aus den einzelteilen in unseren köpfen erst allmählich zusammen. alles was uns die künstler zeigen sind splitter, einzelheiten, augenblicke, die wir selber zusammenbringen können. auf diese weise entsteht die palermo-erzählung stück für stück und lässt uns nicht zuletzt auch genug raum für unsere eigenen erlebnisse und erfahrungen in und mit der fremde.

natürlich wirft bereits die projektanlage die frage nach dem gelingen des experiments auf, die frage wird in der installation natürlich auch beantwortet, doch erzählt «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» – immer vor dem hintergrund des konzeptes selbstverständlich – eine vielzahl anderer geschichten, die bei näherem betrachten den herbeigesehnten höhepunkt fast vergessen machen. die geschichte von der frau, die auf dem markt verloren ging zum beispiel, die geschichten der demonstrationen und gegendemonstrationen, die geschichte vom spiel palermo gegen trieste, das 1:0 endete, die geschichte von petras verschobenem geburtstag und nicolas begegnung in der chiesa s. giovanni degli eremiti, die geschichten von giovanni della polizia und so weiter und so weiter. viele dieser geschichten sind kurz und bündig erzählt, eine notiz im tagebuch, ein bild, in eile gemacht, alle geschichten sind als teile eines letztlich unergründlichen ganzen zwingend und unverzichtbar … alle geschichten sind dabei auch immer die notiz für einen längeren text, vielleicht eine novelle … und wer einmal angefangen hat die teile zusammenzufügen, möchte den ganzen roman lesen, ein roman vielleicht mit einem wunderbaren titel wie: «auch wenn ich dich nicht sehen kann – du bist in meinem blickfeld».

 

 

peter dew installiert in einer ausgreifenden bodenarbeit einen modellhaften,
nie gesehenen planeten.

 

petra elena köhle & nicolas vermot petit-outhenin inszenieren die geschichte
ihres projektes in palermo als puzzle der einzelteile.