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exex_2006/presse

milchmädchen, squaw, stopferin
exex zeigt arbeiten von judith albert, susanne hofer, eva kindlimann und elisabeth nembrini

bald ist olma. das merkt man jetzt auch im projektraum exex. «miss lebensleistung» fragt aber nicht nach dem dicksten euter, sondern stellt arbeiten von vier künstlerinnen zur schau.

 

ursula badrutt schoch

 

frage: wo liegt winnetou? antwort: gleich neben winterthur. die akustische nähe von winterthur und winnetou überlagern sich in den ohren des kindes. so wird st. gallen östlich von winnetou lokalisiert. mit «östlich von winnetou» beginnt die behutsam belustigende und mit analysierenden kritiktönen unterlegte ausstellung «miss lebensleistung».

 

elisabeth nembrini (geb. 1960) erinnert sich der sonderbar schlüssigen assoziationskette und hebt sie aus dem dunkel der kindheit ans licht im projektraum. winnetou lernte sie in form von sammelbildern kennen. die magische wirkung der winnetou-geschichten reflektiert sie heute aus der sicht der künstlerin. dem zentralen thema der männerfreundschaften hält sie die rolle der frauen entgegen. «die müssen bei winnetou jeweils entweder sterben oder heiraten oder sonstwie gehen. und dann stehen die männer wieder ungestört im mittelpunkt.» so hat sie sich den frauen angenommen, hat ribana und ntschotschi vergrössert und an ausgewählten stellen mit perlen bestickt. zum beispiel das blanke messer, das ribana dem bärenmann entgegenstreckt. die bodenarbeit «himmel und höll» zeigt die indianerfrau aus dem bravo-heft in einzelne felder aufgeteilt – fast wie die anleitung zur fleischverwendung einer kuh im kochbuch.

 

erinnerungslumpen entdeckt

stickend nähert sich auch die st. gallerin eva kindlimann (geb. 1967) den brisanten momenten im leben. eine bunte bilderreihe umkreist in assoziativen motiven und materialien ganz unterschiedliche themen, denen wir im laufe eines tages und eines lebens begegnen. persönliche erinnerungsbilder, banale sujets und weltbewegende momente sind «verwiefelt», mit der alten nähtechnik des löcherstopfens dem vergessen entrissen. das handbestickte fotobild einer gewöhnlichen wohnsiedlung auf einem taschentuch wird von der tibetersonne emporgedrückt und von der ungestellten frage nach dem zuhause begleitet. wer sich mit der roten kuschelmöbellandschaft die nase putzt, verschnudert das schöne wohnen aus dem ikeakatalog und kratzt sich gleichzeitig die haut wund. ein pressebild aus dem gestürmten palast von saddam mit den selbstzufriedenen besetzern ist mit zwei phallischen eiffeltürmen übernäht. ein älteres paar, vielleicht die grosseltern, werden von einem glühend gelben atompilz zusammengehalten – oder getrennt. die geschichten lassen sich nicht einfach erzählen, sondern wollen vermutet werden. sie reichen von berührendem bis belustigendem. so unterschiedlich wie die materialien, techniken, wiederverwendeten bilder, stickarten und worttexturen, so vielschichtig sind die bedeutungsebenen. für jedes einzelne und alle zusammen gilt: eine wunderbare entdeckung.

 

tagesleistung

das prächtige braunvieh vor dem prächtigen säntis auf einer prächtigen stallwand haben die beiden projektleiterinnen elisabeth nembrini und eva kindlimann praktisch vor der haustür gefunden, als sie sich zur ausstellungsvorbereitung auf eine gemeinsame wanderung begaben. wie erleben wir leistung, wie leisten wir erleben könnte als doppelfrage der «miss lebensleistung» vorangestellt werden.

als «die stellvertreterin» hat sich susanne hofer in den alltag von acht verschiedenen frauen begeben, diese für einen tag ersetzt, sich dem leistungsdruck ausgesetzt. die daraus entstandenen teilfilme sind über acht monitore hinweg zeitlich synchronisiert und optisch zerstückelt. persiflierend dokumentieren sie das vielleicht ausgeprägt weibliche bemühen, nahtlos die rollen zu wechseln. die künstlerin als bioladenbesitzerin als heilpädagogin als hortleiterin als mutter als hausfrau als sekretärin als gärtnerin als künstlerin zeigt in auszeichnungswürdiger herzlichkeit und situationskomik die unmöglichkeit, sich unbegrenzt zu vervielfachen.

routine und ewigkeit

der alltag bekommt ein stück würde zurück dank dem fehlen der routine. auch dauer und sorgfalt geben würde. «zwischen der zeit» nennt judith albert ihre videoarbeit. endlos schüttet die frau die milch in die schüssel. die bildstellung nach johannes vermeers «milchmädchen» bündelt die leistungen der «miss lebensleistung» in einen 20-sekunden-loop. bedächtigkeit und witz, schöne oberflächen und innere bewegung, ruhe und das bewusstsein dauernder übergänge treffen in «zwischen der zeit» aufeinander. sisyphos ist zeitlos.

aus dem st.galler tagblatt vom mittwoch, 13. september 2006