pool position #01.

marion landolt. first change.

Wie Sie alle der website von visarte.ost entnehmen konnten sind Sie heute Abend zu Gast in einer Ausstellung, die den permanenten Wandel zum Programm erhoben hat. Ob das mit dem permanenten Wandel in einer Ausstellung überhaupt umzusetzen ist, wäre prinzipiell zu diskutieren. Zumindest aber gibt es drei turning points in der Ausstellung von Lucie, Anina und Katja Schenker. Drei Wendepunkte, an denen Ihnen jeweils eine neue Ausstellungsposition präsentiert wird, begleitet von einem speziellen Eröffnungs-event. Der heutige Abend präsentiert als spezial guests nicht nur die drei Künstlerinnen mit jeweils neuen Arbeiten, sondern auch den derzeit in Köln lebenden Medizinsoziologen Fritz Scheibler, den ich hiermit ganz herzlich begrüsse.

Fritz Scheibler, gebürtiger Wiener, studierte Soziologie, Kulturanthropologie und Volkswirtschaft in Berlin und schloss dieses Studium mit einer Doktorarbeit zum Thema Arzt - Patienten - Interaktion ab. Fritz Scheibler arbeitet am Universitätsklinikum Köln und wird heute Abend einen Vortrag halten der einen sowohl verheissungsvollen als auch mehrdeutigen Titel trägt:

«familienaus(f)stellung», Bemerkungen zur Produktion und Rezeption von Kunst im Netz der Familienbande. Konstruktivistische und systemtheoretische Überlegungen zur sozialen Bedingtheit kreativer Arbeit.

Bevor Sie in den Genuss dieses spannenden und hoffentlich zur Diskussion anregenden Vortrags kommen, bitte ich Sie jedoch, mir ein paar Anmerkungen zum aktuellen Ausstellungsstand zu gestatten.

Natürlich ist denjenigen unter Ihnen, die bereits an der Vernissage vom 9. Januar anwesend waren aufgefallen, dass die Ausstellung sich komplett verändert hat. Lucie Schenker, der der heutige Abend gewidmet ist, überraschte uns am 9. Januar mit einer neuen Arbeit aus grünen Acrylglas. «Skript 1» eine Installation aus unentwirrbaren, gebogenen grünen Acrylglasstäben regte zu zahlreichen Diskussionen und Vermutungen über den Fortgang der künstlerischen Arbeit von Lucie Schenker an.
Aus dieser Arbeit heraus entwickelte Lucie Schenker das Werk, das sie heute an der Eingangswand des Ausstellungsraumes zum ersten Mal dem Publikum vorstellt. Unverkennbar ist aus dem Chaos eine Ordnung entstanden. Der Titel «Skript 2» erklärt bereits, dass es sich um eine Schrift handelt. Eine Schrift, die sowohl in ihrer Farbgebung, als auch vom Material her Assoziationen auslöst. Assoziationen mit anderen Neonschrift-Arbeiten wie wir sie aus dem Bereich bildender Kunst kennen - z. B. die Arbeit von Bruce Nauman oder Mario Merz, um nur zwei prominente Vertreter zu nennen. Eine Arbeit, die aber auch auf den ursprünglichen Kontext verweist, in dem Leuchtschriften erstmalig auftraten. Im Bereich der Werbung dienen diese gewerblich genutzten Schriften immer noch dem klar definierten Ziel, den Passanten zum Konsumenten zu machen. ihn zum Kauf eines bestimmten Produktes oder aber zur Konsumation an einem bestimmten Ort einzuladen. Diese Ambition negiert die Künstlerin in ihrer Arbeit vollständig.
Sie löst den Schriftzug aus seinem utilitären Kontext heraus und führt ihn dem vermeintlich zweckfreien Kunstkontext zu. Verstärkt wird diese Strategie noch dadurch, dass der Schriftzug sich jeglicher Lesbarkeit verweigert. In einer gleichmässigen, bogenförmigen Bewegung zieht sich eine, an die Schnürlischrift-Übungen der schweizerischen Primarschulen erinnernde, Linienform über die Wandfläche.
Lucie Schenker regt mit dieser Arbeit jedoch nicht nur die Reflexion über Sinn und Unsinn von Werbekonzepten an, sondern sie stellt auch die mediale Zuordnung künstlerischer Werke, wie sie die Kunstwissenschaft betreibt, in Frage, indem ihre Arbeit sich der eindeutigen Zuordnung in die Gattung Skulptur, Installation oder Wandbild entzieht.

Licht, Transparenz, Schwerelosigkeit sind Begriffe, die in der Rezeption der Arbeiten von Lucie Schenker immer wieder auftauchen. Begriffe, die einem auch sofort in den Sinn kommen, wenn man die 2. Arbeit von ihr betrachtet, die heute hier ausgestellt wird.
Eine rosarote Wolke schwebt, nur von feinen Nylonfäden gehalten von der Decke des Ausstellungsraumes. Eine rosarote Wolke, auf der wir in Momenten höchsten Glückes so gerne davon fliegen möchten. Eine Wolke, die aber bei nüchterner Betrachtung auch die Assoziationen mit Abfallsäcken, Präservativen oder gar Wursthäuten provoziert.
Eine Wolke deren Farbe zugleich begeistert und abstösst.
Eine Wolke aus Polyäthylen, dem gleichen Material, wie es zur Produktion von Sichtmappen verwendet wird. Die Schweissnähte bleiben sichtbar, machen den Herstellungsprozess nachvollziehbar und geben dem Objekt die notwendige Stabilität. 2 Meter lang und 1m im Durchmesser beansprucht sie ihren Platz im Raum, ohne ihn zu okupieren. Ihre Transparenz und ihre unregelmässige, zarte Umrisslinie tritt in den Dialog mit den Zeichnungen von Katja Schenker, die sich an der Wand hinter der Wolke befinden.

4 Farbstiftzeichnungen, deren feine Linien den Blattrand abtasten. «Touch and go» ist die Bezeichnung für eine grosse Serie von Zeichnungen aus dem Jahr 1999, aus der wir hier nur ein kleines Segment zu sehen bekommen. In einer einzigen schnellen Bewegung wird der Farbstift möglichst nahe an den Rand des Papieres herangeführt. Überschreitet der Stift das vorgegebene Format, wird der Prozess abgebrochen und auf einem neuen Blatt wieder aufgenommen. Touch and go. Form und Dichte der Zeichnung werden vom Papierformat und seiner Begrenzung bestimmt.
In der blauschwarzen Acrylmalerei, aus dem gleichen Jahr, richtet sich die Aufmerksamkeit nicht auf den Rand des Bildträgers, sondern auf dessen Zentrum. Der wolkige Farbauftrag verläuft in exzentrischer Richtung und bildet eine nach aussen ansteigende Kreisform, deren Rand von einer dichten Umrisslinie abgeschlossen wird. Die farbfreie kreisförmige Fläche im Inneren unterstützt die erzeugte Sogwirkung und verleiht der notabene zweidimensionalen Malerei eine gegenläufige räumliche Tiefe.
Neben den Arbeiten auf Papier gibt uns Katja Schenker auch in diesem Teil der Ausstellung wieder die Möglichkeit, ihre Arbeit als Performerin kennenzulernen. Auf den beiden Monitoren im Fenster werden die Arbeiten «reizen», 1999 und «daguer», 2000 gezeigt.

Anina Schenker ist in der Ausstellung wiederum mit einer fotografischen und einer Video Arbeit vertreten.
«Another bad moment», eine grossformatige Fotografie aus dem Jahr 2001 hat eine lange Entstehungsgeschichte. Beim Sichten alter Filme fiel der Künstlerin auf, dass die Filmheldinnen immer nur in ihren schönsten Momenten im Bild sichtbar wurden. Alle Einstellungen, die das Image der unsterblichen, immerwährenden Schönheit in Abrede gestellt hätten, wurden aus den Filmstreifen herausgeschnitten.
Aus dieser Beobachtung erwuchs die Idee Videostills zu produzieren, die genau diese gefürchteten «bad moments» zum Inhalt haben sollten. Momente, in denen die Protagonistin ihr Gesicht im direkten Sinne des Wortes nicht mehr wahren kann. Die Sichtung der produztierten Videos, führte jedoch zu der Feststellung, dass den beabsichtigten Stills die erwünschte Schärfe fehlen würde, dass der Reiz eines Videofilms eben im seriellen Ablauf von Bildsequenzen liegt, während die Wirkung eines Fotos darin besteht, einen bestimmten selektiven Bewegungsmoment klar und scharf wiedergeben zu können.
Das bedeutete, dass die Fotos zwar parallel zum Video, aber nicht aus dem Video heraus entstehen mussten. «Another bad moment» ist also eine Fotografie, die parallel, aber mit rein fotografischer Technik zum Video «Slow 2/Lifting» entstand - einer Produktion in der die Künstlerin 7 Minuten lang trampolinspringend gefilmt wird und in deren zeitlich stark verzögerter Wiedergabe sämtliche physikalisch bedingten Bewegungen in den Gesichtszügen sichtbar werden.

«Slow 1» die Videoarbeit, die jetzt in der Ausstellung präsentiert wird, dokumentiert quasi die Gegenbewegung zur zuvor besprochenen Arbeit. Zeigt das Foto einen Moment aus einer schnellen vertikalen Bewegung, so sehen wir im Video die um 90% zeitlich verzögerte Wiedergabe einer in horizontaler Richtung verlaufenden Bewegung. Das Gesicht der Künstlerin scheint sich aufzulösen. Ihre kopfschüttelnde Bewegung scheint schneller zu sein, als die Fliehkraft.

Wie bereits in der, im ersten Teil der Ausstellung gezeigten Arbeit «Living in a box» steht die Künstlerin mit ihrem eigen Körper für eine Erfahrung ein, die sich an den Grenzen des physisch erträglichen bewegt. Das Durchhalten einer belastenden oder gefährlichen Situation wird auch hier wieder zum Thema ihrer Videoarbeit.

Seien wir gespannt, mit welchen künstlerischen Experimenten uns die drei Künstlerinnen Lucie, Katja und Anina Schenker in 14 Tagen überraschen, wenn am Donnerstag, dem 6. Februar ein weiterer turning point gesetzt wird.