pool position #01.

fritz scheibler. familienaus(f)stellung.
vortrag. (1/6)

Liebe Anita Zimmermann, liebe Lucie, liebe Anina und liebe Katja Schenker, meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung und die grosse Ehre, hier etwas über die soziologischen Verstrickungen der «Familienbande» sagen zu dürfen.

Vom Vater hab` ich die Statur,
des Lebens erstes Führen,
vom Mütterchen die Frohnatur
und Lust zu fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
das spukt so hin und wieder;
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
aus dem Komplex zu trennen,
was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?

Diese Beschreibung würde durchaus auch auf mich zutreffen, ist aber von Johann Wolfgang von Goethe (Zahme Xenien VI) und auf seine eigene Person gemünzt. Ich habe mir erlaubt, das komplexe Thema des heutigen Abends mit diesem einfachen aber doch tiefsinnigen Gedicht zu eröffnen.

Wäre ich ein Genforscher, so würde dieser Vortrag etwa so beginnen:
Es freut mich Ihnen mitteilen zu dürfen, dass der menschliche Gencode beinahe vollständig dechiffriert ist. Nachdem noch kurz vor Weihnachten eines der letzten - das Terroristengen - entschlüsselt werden konnte, hab ich in meiner Freizeit - gewissermassen zwischen Weihnachten und Neujahr - das Kunstgen entdeckt. Es sitzt in der Doppelhelix der DNS an 18-ter Position - direkt neben der Augenfarbe - und besteht wie üblich aus den Basen Thymin, Adenin, Cytosyn und Guanin.

Entscheidend ist dabei natürlich die jeweilige Kombination der Basenpaare und an welcher Stelle der Doppelhelix sie angeordnet sind. Künstlergene sind rezessiv, beide Eltern müssen daher eines besitzen, damit auch den Kindern der biologische Zugang zur Kunst ermöglicht ist. Vergangene Woche hab ich mit Frau Brigitte Boisselier telefoniert und vereinbart, dass Clonaid das Kunst-Gen bei ihren zukünftigen Klon-Babies berücksichtigen wird. Im Moment arbeiten wir noch an der Vorausbestimmbarkeit der jeweiligen Kunstgattung.

 

Hier sehen den Vorgang des Klonens beim Baby Eve: den Transfer des Kerns einer Körperzelle in eine vorher entkernte Eizelle.

 

Und in diesem Bild sehen Sie einen der ersten geklonten Menschen, aufgenommen im Sommer 2002 im Osten Deutschlands. Dieser Klon enthält das Kunstgen allerdings noch nicht.

 

Als Gehirnforscher würde ich ihnen Dias von Feinschnitten des Gehirnes von Ulrike Meinhof, Albert Camus und vielleicht George W. Bush zeigen, um Ihnen zu beweisen, dass jeglicher menschliche Ausdruck - ob terroristische oder künstlerische Betätigung - auf spezifische Strukturen bzw. Abnormalitäten des Gehirns zurückzuführen ist…

 

Auch als Ahnenforscher hätte ich eine vergleichsweise einfache Aufgabe zu bewältigen: Ich würde Ihnen beispielsweise den Stamm-baum der Familie Bach zeigen und Sie würden staunen, wie viele Musiker sich vor, neben und hinter Johann Sebastian darin entdecken lassen. Nun bin ich aber Soziologe, was die Sache in diesem Fall nicht gerade einfach macht. Soziologen gehen von der sozialen Bedingtheit, bzw. dem sozialen Ursprung jeglicher menschlicher Handlung aus. Wie der Genforscher und der Gehirnforscher bin ich meinerseits ein betriebsblinder Experte, sodass meine weiteren Ausführungen zur Familienbande bzw. der familiären Bedingtheit künstlerischen Ausdrucks nur äusserst kritisch und nur unter Vorbehalt zu geniessen sind!

Aus der Perspektive des Symbolischen Interaktionismus würde man argumentieren, dass die Herausbildung einer menschlichen Identität, also einer eigenständigen Persönlichkeit und im weiteren Sinn ein individueller kreativer Prozess nur in der Auseinandersetzung mit anderen Individuen stattfinden kann. George Herbert Mead, ein Sozialphilosoph und Sozialpsychologe der 40 Jahre an der Universität von Chicago, beschreibt menschliche Sozialisation, als das Erlernen von Rollenspielen. In einer ersten Phase wird die Rolle eines sogenannten «Signifikanten Anderen» - also der Mutter oder des Vaters nachgespielt. In einer zweiten Phase abstrahiert das Kind in seinem Spiel von diesem «signifikanten Anderen» also dem Handeln einer ganz bestimmten Person auf allgemeine Handlungsmuster sogenannter «Generali-sierter Anderer». Wenn also beispielsweise der Vater eines Kleinkindes ein Polizist ist, dann spielt das Kind, wenn es «Vater» spielt, die Verhaltenswiesen des eigenen Vaters nach, regelt beispielsweise den Verkehr im Kinderzimmer, oder verhaftet die jüngeren Geschwister. Erst später lernt es, die Rolle des Vaters von der allgemeinen Rolle des Polizisten zu trennen. Das interessante an den Rollen besteht für mich darin, dass Rollen Verhaltenserwartungen, bzw. Erwartungserwartungen repräsen-tieren. Das heisst also, dass das Kind, wenn es einmal von der individuellen Rolle abstrahiert und allgemeine Verhaltensstandards internalisiert hat, an das Verhalten bestimmter Personen ganz spezifische Erwartungen hegen wird. Es erwartet also von jedem Polizisten, der auf der Strasse steht, dass dieser es bestrafen wird, wenn es beispielsweise bei «Rot» über die Strasse geht. Umgekehrt kann es sich darauf verlassen, dass der Polizist auch von ihm ein ganz bestimmtes Verhalten erwarten wird. Es kann also die Erwartungen eines sogenannten «Generalisierten Anderen» an das eigene Verhalten antizipieren. Diese sogenannten Erwartungserwartungen sind die Grundlage dafür, dass im menschlichen Zusammenleben so vieles völlig un-hinterfragt und reibungslos abläuft.

Die Familie als primäre Sozialisationsinstanz ist also massgeblich für das Hinein-wachsen des Individuums in eine spezifische Gesellschaft. Genau sie kann aber auch das massivste Hindernis für eine erfolgreiche Sozialisation sein. Die Bonner Soziologien Marianne Krüll beschreibt in ihrem Buch Schizophrenie und Gesellschaft (Beck 1977) eindrücklich, wie sich bestimmte familiäre Konstellationen negativ auf die menschliche Psyche auswirken können. (Typisch soziologisch: Das Mutti, Pappi und Geschwister, Onkels oder Tanten oder gar Schwiegermütter einem manchmal buchstäblich auf den Geist gehen können, ist eigentlich jederfrau und jedermann bekannt. Krüll hat es jedoch wissenschaftlich nachgewiesen.) Das Problem beim Rollenerlernen kann z.B. darin bestehen, dass zu einem Signifikanten Anderen kein Pendant, kein Generalisierter Anderer existiert.

In der Familie Bush soll sich diese schicksalhafte Sozialisationsszene ungefähr wie folgt abgespielt haben:
Bush sr.: Gerorge, would yoo like too be president?
Bush jr.: Of which country, daddy?

 

 

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