pool position #03.

Kaspar Surber. Vielleicht ist alles anders, als wir meinen.

Zerbrechliche Styroporr�ume, orange Arbeiter im Schnee: In seinen Installationen und Videos bastelt Emanuel Geisser an r�tselhaften Zukunftsvisionen. Ein R�ckblick auf seine Pr�sentation im Projektraum exex im Rahmen der Ausstellung «Come back» Ende Juni.

Am Anfang steht eine Styroporwand. Ein Durchlass am Rand signalisiert Zug�nglichkeit - doch wohin? Zur n�chsten Styroporwand? Wer Aufschluss w�nscht, dem bleibt nur der Schritt ins weisse Zwischenreich: Ein Pfad, eingelassen in einen Boden aus Styropor, f�hrt vom ersten zu einem zweiten Durchlass, vorbei an drei kreisf�rmigen Deckel, die motorbetrieben je ein Loch in den Boden �ffnen und wieder schliessen. Von dort geht es weiter in einen kahlen Raum, versehen mit einer Videoprojektion: Schlaksige M�nner in orangen Arbeitskleidern schweben in einer Gondel �ber eine Gletscherlandschaft, verschwinden, tauchen auf, verschwinden.
Ein Gef�hl der Unsicherheit beschleicht den Betrachter. Was um alles in der Welt hat dies zu bedeuten? Stundenlang geh�rte Songzeilen jagen durch den Kopf: «Das sind keine R�tsel, das ist offensichtlich» - «Was wir t�glich sehen, sind Dinge, die wir nicht verstehen». Der Betrachter dreht ab, verwirrt, fasziniert.

 

Ein Tourist in der Hansestadt

Die Sache eilte, nur sechs Tage blieben bis zur Vernissage: Tag und Nacht baute Emanuel Geisser im Exex an seiner Styroporinstallation, flink, konzentriert, stets mit Bleistift hinterm Ohr. Geisser, 1974 in St.Gallen geboren, begann nach dem Vorkurs eine Ausbildung an der Ecole superieure d�art visuel in Genf. Das Erasmus-Programm f�hrte ihn nach drei Jahren nach Hamburg. Dort angekommen eignete er sich mit seinem «Tourist»-Projekt die Stadt an: Im Fr�hjahr 2000 wollte er 26 Erinnerungsorte wie «Igelgrab», «Schneeburg» oder «Claudia B.» aus seinem Kindheitsdorf Gais mit F�hnchen punktgenau auf das Gebiet zwischen Elbbr�cke und Elbtunnel �bertragen, 18 wurden letztlich gehisst, «die Sache war sehr erm�dend, ich musste immer wieder durchs Geb�sch kriechen, gewisse Leute hielten mich f�r einen Terroristen.» Seiner Freundin wegen ist er dennoch bis heute in der Hansestadt geblieben - und auch, weil es sich als K�nstler nach mittlerweile abgeschlossenem Studium am Elbwasser trotz unterbezahlten Nebenjobs nicht schlecht leben l�sst: In einem B�rohochhaus k�nnen Geisser und seine Freundin 15 Zimmer belegen, von denen sie nur vier bezahlen - da hats sogar Platz f�r eine Blue-Box. Die Kunstszene Hamburgs, die sich w�chentlich im Golden Pudels Club und dessen schuhschachtelgrosser Galerie Nomadenoase trifft, ist famili�r, und doch kennt nicht jeder jeden. - In der Nacht auf den Tag der Vernissage war die Installtion fertig gebaut. Statt eigener Werke zeigt Geisser am Abend den Skiflieger-Film «Die grosse Ektase des Bildschnitzers Steiner« von Werner Herzog.

 

M�gliche Welten

Nach der Aneignung des realen Stadtraumes �ber das Tourist-Abenteuer besetzt Geisser heute fiktive Orte, die er aus Styropor selbst konstruiert. «In meinen Installationen geht es darum, einen Raum zu schaffen, der nicht einsch�tzbar ist: Deshalb die L�cher, die auf tiefere Ebenen verweisen. F�r die Videos gilt dasselbe: Sie zeigen Bergwelten mit komischer, unverst�ndlicher Infrastruktur», erz�hlt der K�nstler. Im Film «Patrol« fahren Ratracks durch eine Schneelandschaft, M�nner in orangen Arbeitskleidern l�sen eine nicht ersichtliche Aufgabe. In «Traverse« f�hrt ein Mann mit einer Seilbahn in ein futuristisches Gipfelgeb�ude. Manches erinnert, trotz Geissers bewusst verfremdender Collage- und Bastel-Ästhetik, an James Bond und Stanley Kubrick - und an den Toggenburger Skispringer Steiner, der in Herzogs Film �hnliche Proportionen hat wie Geissers Ratrackmenschen, einem scheinbar eigenen Rhythmus gehorchend aus Raum und Zeit fliegt und nach der Landung verschrobene S�tze spricht. «Meine Filme und Installationen sind geschlossene Systeme, nichts kommt von aussen dazu. Die Kunstwerke folgen ihrem eigenen Rhythmus, bilden im besten Fall eine Art Handlung», erkl�rt Geisser. Dem Betrachter bleibt nur die Ahnung: Von einer Idee, einer Zukunftsvision, einer bis anhin nicht bedachten M�glichkeit.

Ob ihm der Plakatwandsatz gefalle, wonach vielleicht alles ganz anders sei, als man meine? - Oh ja, der gefalle ihm sehr gut, sagt Geisser, und steigt in sein Auto, um nach Basel und weiter nach Venedig zu fahren. Am n�chsten Tag steht in der Zeitung zu lesen, dass Geisser ein Bundesstipendium erhalten hat. Das ist sch�n zu h�ren: Weil der sympathische D�chlikappentr�ger doch noch gesagt hat, dass er dieses Jahr alles auf die Karte Kunst setzen will - und weil weitere Styroporbauten vielleicht des R�tsels L�sung bringen. Oder besser: Noch mehr R�tsel.

 

Kulturmagazin Saiten, Baustellengucken vom Juni 2003.

 

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