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exex_2004/salon nr. 2

lichtfänger
corinne schatz zur arbeit «susann's reservation» von dieter berke

«Im richtigen Dosieren von Licht und Zeit (photos und chronos) liegt die Basis meiner Arbeit», sagt der Fotokünstler Dieter Berke. In teilweise mehrstündigen Belichtungen fängt er mit einer zur Camera Obscura umgebauten Kamera und mit selbstentwickelten Werkzeugen (seinem «Lichtpinsel») Lichterscheinungen in Wald- und Wüstenlandschaften, häufig in Südkalifornien und Arizona, ein. In seinen grossformatigen Schwarz-Weiss-Fotografien geraten die Landschaften in eine vibrierende Bewegung. Das Licht scheint sich zu materialisieren und die Zeit zu verdichten. Indem Berke Regeln und Gesetze der Fotografie hinter sich lässt, schafft er Bilder, die sich erst in verlangsamter Betrachtung der Wahrnehmung öffnen, dann jedoch in ihrem langsamen Erscheinen die Bewegungen, das Werden und Vergehen der Natur sichtbar werden lassen.

Als ich Dieter Berke zum ersten Mal begegnete, erzählte er mir etwas, das mich sehr zum Nachdenken anregte: Wenn man für eine grosse Fotoreportage über die Thur ein Jahr lang dem Fluss entlang wandere - die vielen Fotografien, die dabei entstünden würden am Ende eine tatsächliche Zeit von höchstens ein-einhalb Minuten umfassen … (bei einer Belichtungszeit von 1/125tel gäbe das immerhin 11'250 Fotos!)
Eine eigentümlich anmutende Rechnung, aber eine, die sehr viele Aspekte der Fotografie und unseres Umganges mit ihr hinterfragt.

«Weil ohne Licht kein Leben, ist auch jede Äusserung des Lebendigen allererst vom Licht abhängig. Das Licht ist das Absolutum alles Erscheinenden, dessen also, was 'zu Tage tritt'.» (Gernot und Hartmut Böhme, Feuer - Wasser - Erde - Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente)

Den Fotografien von Berke haftet etwas von jenem Geheimnis, von der Magie, dem alchemistischen Wunder an, welche die ersten fotografischen Versuche umwehten, die trotz der heutigen Omnipräsenz der Fotografie, trotz der unzähligen Möglichkeiten neuer Computerprogramme, die jedem Hobbyfotografen erlauben, seine Aufnahmen nach Gutdünken zu verändern, noch heute zu verzaubern vermögen.

Seine Bilder brauchen Zeit, erkannt und erfahren zu werden, sie stimmen die/den BetrachterIn auf ein anderes Tempo und eine konzentriertere Wahrnehmung ein; die Flüchtigkeit der Bildeindrücke führt zu einer Intensivierung und Vertiefung des Schauens. Erst in dieser Vertiefung in die Betrachtung erschliessen sich die Tiefen von Raum und Zeit:
«Je ruhiger man bleibt desto mehr wird man wahrgenommen», sagt er und meint dies durchaus nicht nur in Bezug auf seine Fotografien, sondern auch im übertragenen Sinne gegenüber einer Welt, die von immer grösserem Tempo in allen Bereichen geprägt ist. Einer Welt, in der wir der stetigen Beschleunigung zu entfliehen wünschen. Wenn man nochmals bedenkt, dass eine einzige Aufnahme von Dieter Berke mehr Zeit beinhaltet als Tausende von alltäglichen Schnappschüssen, dann erahnt man vielleicht den Ursprung ihrer besonderen Wirkung. Vielleicht finden wir darin die eigene Sehnsucht nach Weile, nach Musse, nach Ruhe und Stille aufgezeichnet.

Dieter Berke *1953 in Säckingen BRD, lebt in Pfyn TG

(Ausschnitte aus der Vernissagerede, 11. März 2004)

 

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