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exex_2004/salon nr. 2/presse

Zeit lassen - Licht sehen
Im Projektraum exex ist Licht gefangen worden

Drei künstlerische Positionen drehen sich um die gleiche Lebensnotwendigkeit: Licht. «Lichtfänger» betitelt Kuratorin Corinne Schatz die Ausstellung mit Dieter Berke, Monika Sennhauser und Teres Wydler.

 

Ursula Badrutt Schoch

 

Mit Tränen in den Augen sieht die Welt anders aus. Nicht besser, aber von grösserer Intensität. Die Bilder von Dieter Berke enthalten etwas von jener Kraft der salzigen Flüssigkeit, die Glanzpunkte verstärkt und Stumpfes verschwinden lässt. Seine grossformatigen Fotografien von Landschaftsausschnitten in Schwarzweiss geben Einblick in einen dichten Sumpf, in dem sich die Zeit verfangen hat. Seine Bilder vibrieren, scheinen zu atmen, in der Verlangsamung von Zeit aufzuglimmen - und wieder zu verschwinden.

«Je ruhiger man bleibt, desto mehr wird man wahrgenommen», sagt Dieter Berke. Und: «Je mehr Zeit ich gewillt und fähig bin, einem Prozess und einem energetischen Sein zu lassen, umso grösser ist die Möglichkeit von Entfaltung, von Veränderung und Erkenntnis in der daraus entstehenden Arbeit.» Das richtige Dosieren von Zeit und Licht ist die Grundlage im Schaffen von Dieter Berke (geb. 1953), dem ab 21. März das Kunstmuseum des Kantons Thurgau in Ittingen/ Warth eine grössere Ausstellung widmet.

 

Licht als Geheimnis

Im Bewusstsein, dass in einer Fotografie jeweils nur ein Bruchteil von Zeit enthalten ist und auch Tausende von Bildern nur wenige Minuten Lebenszeit enthalten, entwickelte Berke ein eigenes, meditatives Verfahren des fotografischen Abbildes, in dem viel Zeit enthalten ist. Mit einer Lochkamera fängt er in zum Teil mehrstündigen Belichtungen und eigenen Manipulationen mit dem «Berkschen Lichtpinsel» Natur als grosses stilles Geheimnis ein. Dem Geheimnis von Zeit in Form von Licht auf der Spur ist auch die St.�Gallerin Monika Sennhauser (geb. 1954). Seit vielen Jahren erforscht sie den Lauf der Sonne. Nein, eigentlich gerade nicht den Lauf der Sonne, sondern ihre Wahrnehmung auf der Erde in immer wieder neu sich konstituierenden Beziehungen zu unserem Körper. Für ihre Erkundungen reist sie seit ein paar Jahren an entlegene Orte, nach Patagonien oder auch nach Spitzbergen und Grönland, dorthin, wo sie in den Sommermonaten auch nachts nicht auf das Licht verzichten muss. Mit wissenschaftlicher Akribie, gepaart mit Intuition, Poesie und Experimentierfreude, notiert sie die Bewegung und Länge der Schatten, die wie Sonnenuhrzeiger gesteckte Halme auf einem Blatt Papier hinterlassen. Ihre Aufzeichnungen sind minimalistisch spröde und überbordend komplex, ja metaphysisch. In den handschriftlichen Linien, den Kreisen und Strahlen sind der Dreh der Welt und unsere Rolle spurenartig enthalten.

 

Licht als Aufzeichnung

Sie möchte visualisieren, dass sich die Welt um die Sonne dreht, formuliert sie ihr Anliegen. Neben der Zeichnungsserie «Oqaatsut/Rodebay» zeigt Monika Sennhauser auch eine Arbeit mit 24 Diapositiven, die in einer gerafften�Kadenz abgespielt wie eine Videostudie funktionieren. Die Sonne ist in den Focus genommen, in stündlichem Rhythmus in immer derselben Position im Visier der Kamera festgehalten. Im Ablauf der Bilder�erlebt der Betrachter die Drehung der Erde um die Sonne als Tanz des eigenen Körpers im Raum. Um Bewegung dank Licht ist auch Teres Wydler bemüht. «Modern Nature» nennt sie ihre Kompositionen, die das künstliche und das natürliche Licht gegeneinander abwägen und miteinander in Beziehung bringen. Eine Wandinstallation mit Katzenaugen irritiert die Lesbarkeit. Ist es eine Fläche, ein schwingender Körper, eine lange gefaltete Linie mit Anfangs- und Schlusspunkt? Die sich ständig verändernden Lichtbedingungen lösen die klaren Formen in flirrende Felder auf.�Je mehr Licht auf die Wandobjekte fällt, desto weniger werden sie wahrgenommen, sind sie nur noch Licht - aus zweiter Hand. Das Paradoxe solcher Beobachtung fasziniert Teres Wydler.

 

Stichwort: Daten zum Licht

Sa, 20. März: On Tour, mit Marianne Rinderknecht nach Bregenz und Vaduz. Info, Anmeldung exex@visarteost.ch Do, 25.3., 20 Uhr: Die Stadt erstrahlt im Lichterglanz. Präsentation und Diskussion über die Bedeutung und Auswirkungen von Lichtinszenierungen in städtischen Lebensräumen, mit Monika Sennhauser, Teres Wydler, Rolf Derrer, Kohler & Gramazio, Peter Röllin, Corinne Schatz (Leitung) Sa, 3.4., 11-13 Uhr: Sprechstunde mit Andreas Vogel für Künstlerinnen und Künstler, die ihre Dokumentation Experten zur Kritik und Diskussion vorlegen wollen. Anmeldung: exex@visarteost.ch, Leitung Matthias Kuhn Do, 15.4., 20 Uhr: exex.digital, Peter Hubacher: CAD-Künstler präsentieren Software und ihre Anwendungsmöglichkeiten. Leitung: Anita Zimmermann Do, 22.4., 20 Uhr:Vorstellungsgespräch. Ghislaine Ayer präsentiert ihr Bildobjekt «urscratch», das sich mit der Ursonate von Kurt Schwitters auseinander setzt. Leitung: Leo Holenstein und Teresa Peverelli

 

Aus dem ST.GALLER TAGBLATT vom Mittwoch, 17. März 2004