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georg frey
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wer heute im oberen teil des trogner friedhofs auf dem baenkli sitzt und gegen westen schaut, kann kaum ahnen, was vor knapp zweihundert jahren der bildchronist johann ulrich fitzi von hier aus sah und gezeichnet hat: eine barocke gartenanlage zwischen bauernhaeusern und kuehen. die geschichte dazu beginnt um 1763. damals liessen die beiden brueder und kaufleute sebastian und johann conrad honnerlag einen doppelpalast bauen. verheiratet mit den cousinen marie elisabeth und anna zellweger, waren sie mit jener familie verschwaegert, deren mitglieder ueber generationen die palastartigen bauten am trogner dorfplatz erstellen liessen. der reiche und weitgereiste johann conrad honnerlag kehrte erst zwanzig jahre nach dem hausbau nach trogen zurueck und liess dann zwei ausgedehnte promenaden und einen barocken garten anlegen. sein sohn hat das ganze noch ausgebaut und mit weiteren zutaten bereichert und ausgeschmueckt. aber nur fuer kurze zeit. denn nach dessen tod verkauften die erben die oestliche haelfte des doppelpalastes und die parkanlage an zwei verschiedene interessenten, und als der park spaeter dreigeteilt und die teile separat verkauft wurden, war es um die einheit der einzigartigen anlage geschehen. teile davon verschwanden, andere ueberlebten als relikte in neuer umgebung. johann ulrich fitzi, der von 1798 bis 1855 lebte, hat den zustand und die veraenderung der appenzellischen landschaft und siedlungen in unzaehligen darstellungen sehr praezis und detailreich festgehalten. auf seinen topographischen karten von trogen ist die grosse ausdehnung der ganzen anlage ersichtlich. die allee vor dem palast war ungefaehr achtzig meter lang, die dazu abgewinkelte, gegen den heutigen friedhof fuehrende promenade hatte eine laenge von etwa hundertvierzig metern. nach osten leicht ansteigend, endete sie bei einer gloriette, einem gartenpavillon nach dem vorbild eines offenen antiken rundtempels, dessen gewoelbtes dach von saeulen getragen wurde. dieser pavillon und ein dazu arrangierter brunnen wurden wahrscheinlich von honnerlag junior in auftrag gegeben. es ist darum anzunehmen, dass der zeichnende fitzi einige jahre frueher noch unter freiem himmel sass. wo sich auf der fitzi-zeichnung zwei spazierende maenner unterhalten, stieg eine barocke gartenanlage hangwaerts zum dorf, hundert meter lang und zwanzig meter breit. hinter der grossartigen ordnung der raumgreifenden parkanlage mit ihrem herrschaftlichen und repraesentativen anspruch stand die politische und oekonomische macht einer familie. als kunstfreunde haben die zellweger und die honnerlag auch fitzi gefoerdert und ihm auftraege erteilt. peter scheitlin, ein zeitgenosse von fitzi, schrieb: «trogen, das appenzellische athen, kann sich freuen, einen maler wie fitzi zu haben.» athenische braeuche, naemlich die demokratische parzellierung des baulandes, haben dann der oligarchischen parkanlage den garaus gemacht. als das interesse der erben an weiten perspektiven schwand und der geschmack der neuen besitzer sich von der herrschaftlichen gartenarchitektur entfernte und sich der praktischen besiedlung der landschaft zuwandte, blieb von der einstigen pracht bald nicht mehr viel uebrig. die grossartige anlage scheint an ihrer eigenen groesse zugrunde gegangen zu sein. umso interessanter sind spuren, relikte und raeumliche anekdoten, die wir heute entdecken koennen. ein vergleich der historischen fitzi-zeichnung mit der heutigen ansicht zeigt: vor die linke ecke des palastes hat sich der neubau des krankenheims geschoben. der vergammelte barockgarten scheint ins kraut geschossen, doch zwischen den hohen baeumen sind noch heute die beiden lusthaeuschen zu finden, das obere sorgfaeltig restauriert, das untere bau- und unauffaellig im dornroeschenschlaf. der einstige garten als insel in der landschaft ist heute ein waeldchen und wird von der hauptstrasse bedraengt und durch die strasse vor dem ehemaligen krankenheim geteilt. die dynamische unordnung der steten bautaetigkeit ueberlagert die einst streng geplante ordnung des historischen gartens. die baulichen relikte der parkanlage sind als materielle zeugen spaerliche hinweise auf eine vergangene pracht, deren spuren sich vermischen mit dem, was allmaehlich entsteht und sich fortwaehrend veraendert. als koordinaten eines historischen zustandes sind sie raeumliche bezugspunkte der vergangenheit in der gegenwart. heute scheint es unvorstellbar, sich die phantastische, etwas zu gross geratene, dinosaurische herrschaftsarchitektur zurueck zu wuenschen. und doch ist es verlockend, sich die honnerlagsche gartenpracht als oeffentliche anlage vorzustellen, bevoelkert von jenen, die ihren gedanken in den weiten promenaden neue perspektiven geben oder diese im barocken garten lustvoll schweifen lassen. die verlorene perspektive, aus der zeit der paläste sonntag, 20. august 2006, 12 uhr
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