pool position #01.

marion landolt. second change.

Der 3. Anlass in der «3-women-show» von Lucie, Katja und Anina Schenker präsentiert erneut eine gänzlich veränderte Ausstellungsperspektive. Der 2. Abend - nach der Eröffnung vom 9. Januar - der den 3 Künstlerinnen zur freien Gestaltung zur Verfügung gestellt wird, zeigt als Schwerpunkt die Arbeiten von Anina Schenker, eingebettet in die neuen Exponate von Lucie und Katja.
Wie bereits vorgängig erwähnt, befinden wir uns in einer Familienausstellung. Was es mit solchen Projekten aus soziologischer Sicht auf sich haben kann, wurde vor 14 Tagen von Fritz Scheibler auf eindrückliche Weise skizziert. Auch in diesem Teil des Projektes wird der Familienkontext thematisiert, jedoch auf ganz andere Art.

Gibt es doch im Werk von Anina Schenker eine Video-Installation aus dem Jahr 2000, bestehend aus einem Videotape, einem Monitor und einem überdimensionierten Sitzpolster, die den Titel «1+1+1+» trägt. Natürlich könnte man der Versuchung erliegen, die Einser durch Namen aus der Familie zu ersetzen, so dass sich quasi als Untertitel die Kombination Lucie + Katja + Anina + ..... ergäbe. Nur wäre man damit ziemlich auf dem Holzweg.
Verfolgen wir jedoch die biografische Spur weiter, so erinnern wir uns, dass Anina Schenker 1971 geboren wurde, sich im Jahr 2000 also in ihrem 30. Lebensjahr befand, man könnte also jede der drei Einser mit der Umschreibung eines Jahrzehnts gleichsetzen. Ein Blick auf die Projektionsfläche zeigt uns, dass wir mit dieser Vermutung zumindest nicht ganz so falsch liegen, wie mit der ersten.
Aus einem schier unerschöpflichem Fundus von Familienfotos hat die Künstlerin 230 Porträts ihrer selbst ausgewählt und abgefilmt. Im bewegten, filmischen Ablauf begegnen wir ihr als schlafendes, essendes, manchmal schreiendes, aber meist lachendes Baby. Wir begleiten sie als Kleinkind auf ihren Entdeckungstouren durch den elterlichen Garten, in die Skiferien und zum südlichen Strand. Ein jugendliches, offenes Gesicht schaut mit fragendem Blick direkt in die Kamera, wirkt manchmal einfach nur übermütig, manchmal kokett, zuweilen nachdenklich, und immer ausserordentlich schön.
In einem kaleidoskopartigen Bilderreigen formuliert die Künstlerin die ewigen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Und wie bin ich zu dem geworden, was ich heute bin? Welchen Veränderungen ist mein Äusseres in 30 Lebensjahren unterworfen? Lassen sich die gelebten Erfahrungen - positiver, wie negativer Art - die den Prozess des Älterwerdens begleiten, in der physischen Erscheinung ablesen?
In kleinen, behutsam gesetzten Schritten begleiten wir die Künstlerin auf ihrem Lebensweg vom Baby bis zur erwachsenen Frau. Erinnerungen an die eigene Kindheit, Jugend, an die Studienzeit etc. werden geweckt. Der Blick auf ein fremdes Leben schärft die Sicht auf das eigene Sein.
Das 30ste Jahr, von Ingeborg Bachmann in einer Erzählung beeindruckend geschildert, wird auch für Anina Schenker zu einem Wendejahr. Sie gibt die berufliche Selbständigkeit auf, tritt in die Schule für Gestaltung ein, entscheidet sich für die Unsicherheit einer künstlerischen Existenz und findet dabei eine innere Freiheit, wie sie ihr vorher nur bedingt bekannt war.
Mit 30 ist die Suche nach der eigenen Identität mit Sicherheit noch längst nicht abgeschlossen, aber doch ist dieses verflixte 30ste Jahr immerhin ein nahezu typischer Moment zum Innehalten, zum Zurückschauen und ideal, um neue Perspektiven und Visionen zu entwickeln.

«aufgrund», die 2. hier gezeigte Video-Arbeit von Anina Schenker entstand ebenfalls 2002, und war im letzten Jahr auf einem überdimensionalen Picture-Board im Zürcher Hauptbahnhof zu sehen. An der Grenze zwischen Bahnhofshalle und dem Zugang zu den Perrons, direkt über dem Treffpunkt, sah man in grosser Höhe eine computerberechnete Fotoanimation, abgebildet war die junge Künstlerin selbst. In einem sehr viel kleineren Format, das durch den Monitor bestimmt wird, ist die gleiche Arbeit nun Teil der Ausstellung. Die Animation entstand auf der Grundlage zweier Fotos, die im Zusammenhang mit der Arbeit «slow» entstanden. Man sieht man die extrem verlangsamte Wiedergabe eines sich im Sprung befindenden Körpers. Eine Sprungbewegung die in Realzeit nur 1 Minute beträgt. Die Zeit, die ein Körper benötigt um vom höchsten Punkt ganz nach unten zu fallen, um dann durch die Kraft des Trampolins wieder nach ganz oben geschleudert zu werden. Eine Minute, in der das Gesicht der Springerin, den Gesetzen der Schwerkraft folgend, eine enorme Veränderung durchlebt. Eine Veränderung, die sich im real erlebten Moment vom menschlichen Auge nicht wahrnehmen lässt, die in der extremen Verlangsamung aber umso eindrücklicher wirkt.

Einem ganz anderen Phänomen ist die 3. Arbeit von Anina Schenker gewidmet. Einem Phänomen, das inzwischen längst ein wichtiger Bestandteil unseres alltäglichen Lebens geworden ist und dem doch niemand so recht Beachtung schenkt. -Wenn man von den wissenschaftlichen Untersuchungen ambitionierter Sprachforscher einmal absieht. -

SMS, die manchmal ärgerlichen, meist jedoch sehr praktischen Kurzmitteilungen, die wir uns per Handy übermitteln, wenn wir weder Zeit noch Lust auf einen Anruf haben. Die äusseren Konditionen dieser zeitgemässen Kommunikationsform sind klar definiert. Die Kürze ist Programm. Das hat zur Folge, dass mit speziellen Sprachcodes, Abkürzungen, Zeichen etc. kommuniziert wird. Normale Alltagssprache wird verdichtet, die Fähigkeit, die eigentliche Botschaft zwischen den Zeilen wahrnehmen zu können, ist gefragt und, wie bei jeder Form der codierten Nachrichtenübermittlung, ist der Kontext der Botschaft lediglich dem Absender und dem Empfänger bekannt. Die beiden Kommunizierenden werden also im Extremfall zu Geheimnisträgern, die sich dennoch einer ganz und gar öffentlichen Form der Nachrichtenvermittlung bedienen. Wie sehr die Sprache, als lebendiges Medium ständigen Veränderungen unterliegt, wie sich das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Intimität ausbalancieren lässt, wie freudvoll der spielerisch unbekümmerte Umgang mit Sprache ausserhalb jeglicher grammatikalischer Regeln sein kann und wie stark auch oder gerade fragmentarische Texte die detektivische Leidenschaft eines unbeteiligten Dritten erwecken können, das alles kann man bei genauerem Studium der SMS Sprachbänder von Anina Schenker überprüfen.
Aus einem Skizzenbuch, das die Künstlerin seit ca 4 Jahren bei all ihren Unternehmungen mit sich führt und in das sie u.a. alle SMS Botschaften, die an sie gerichtet werden aufzeichnet, hat Anina Schenker eine Auswahl auf zwei Stoffstücke übertragen. Zwei Bahnen grundierten Wollstoffs, auf denen die persönlichen Notate mit Bleistift verzeichnet sind, präsentieren sich als Textträger, der sowohl Assoziationen mit intimen Tagebuchbekenntnissen, als auch die Erinnerung an die vielzitierten chinesischen Wandzeitungen, wie wir sie aus dem politischen bewegteren Alltag vergangener Tage kennen, zulässt.

Betrachtet man die neuen Arbeiten von Lucie Schenker, kommt einem unwillkürlich wieder der Begriff «Familie» in den Sinn. Die 1+1+1 von Anina Schenker erscheinen hier abgewandelt, in Form einer 3teiligen, amorph wirkenden Metalldraht-Installation.
Jeder Teil der Skulpturengruppe scheint ein eigenes, abgeschlossenes Universum zu bilden und doch wirken sie zusammengehörig.
Dicht gewickelt und in unterschiedlicher Grösse schmiegen sich die drei organischen Formen eng an den Boden an. Körperliche Nähe signalisierend, ohne den Respektraum jedes einzelnen anzutasten. Aus kaltem industriellem Material gefertigt, mahnen sie dennoch an tierische oder gar menschliche Existenzformen. Eng windet sich ein Metallfaden um den anderen, bildet eine Schutzform, für das in ihm eingeschlossene Licht. Metallisch abweisender Glanz verwandelt sich in geheimnisvolles Schimmern. 3 materiell dichte Raumkörper, die gerade durch die implizierte Fragilität ein ungeahntes Gefühl von Leichtigkeit vermitteln.
Wie ein Solitär taucht in räumlicher Distanz, ein weiterer einzelner Drahtkörper auf, geformt aus locker geschlauften dünnen, von Plastik umhüllten Metalldrähten. In fernes Industrieblau getaucht und offener vom Körperaufbau her, wirkt diese Arbeit wie ein Präludium auf die Skulpturengruppe im hinteren Raumteil.

Katja Schenker benutzt auch in diesem Teil der Ausstellung die Möglichkeit, weitere Dokumentationen ihrer Performances zu zeigen.
Auf zwei Monitoren im Schaufenster des Ausstellungsraumes kann der Betrachter die Performance «rasen» nachvollziehen und -zumindest in der Phantasie- an einem Heissluftballonflug über die Insel Ufenau teilnehmen. Beide Projekte sind im letzten Jahr entstanden, als Katja Schenker zusammen mit Chantal Michel, auf der Insel Ufenau eine Garteninstallation realisieren konnte.
Die aus dem fliegenden Heissluftballon heraus gefilmte Videoaufnahme dieser grossflächigen Arbeit, gibt Einblick in den gesamten Entstehungs- und Entwicklungsprozess des Projektes. Vom Pflügen des Bodens, über das Aussäen und Pflanzen verschiedener Kräuter, Blumen und Stauden, bis hin zu der ausgewachsenen, labyrinthartig angelegten, begehbaren Landschafts-Installation. Der Weg durch dieses Stück kultivierter Naturzone war dem Besucher vorgegeben, jedoch boten sich je nach Wachstumsstadium der Pflanzen völlig veränderte Raumperspektiven und Wahrnehmungserlebnisse, die dem Betrachter des Videos nur bedingt nachvollziehbar sind.

«rasen» ist der Titel der Performance, die die Künstlerin am 1. August 2002 im Rahmen dieses Projektes auf der Insel durchführte. Geplant war, dass die Künstlerin sich von einem, mit ihrem Körper durch ein Seil verbundenen Heissluftballon durch den Garten bewegen lassen sollte. Schwebend, wie ein Insekt von einer Blüte zur nächsten taumelnd.
Aber wie immer bei einer Performance gibt es Momente, die sich jeglicher Einflussnahme durch die Künstlerin entziehen. Diesmal war es der stürmische Wind, der die Pläne von Katja Schenker durchkreuzte, indem er in der falschen Richtung blies. Anstatt vom Ballon gezogen zu werden, verkehrte sich die Situation dahingehend, dass die Künstlerin in einem extremen Kräftemessen mit der Natur, den Ballon hinter sich herziehen musste. Die hundertmal mühelos beschrittenen Wege und Hügel der Insel mussten so unter erschwerten Bedingungen physisch neu erfahren werden.

Um Raum und performative Raumerfahrung geht es auch in den Gouachen von Katja Schenker. Die nass in nass und in mehreren Schichten übereinandergelegten Farbenformen ergeben sich intuitiv aus dem Malprozess. Sind also vorher nicht bestimmbar und werden auch nicht reguliert. In einer Art meditativer Vorbereitungsphase verleibt sich die Künstlerin die formalen Bedingtheiten des Bildträgers, wie z.B. das Format, ein. Das bedeutet, sie muss den Raum, den sie mit Farbe bedecken will zuerst körperlich in sich aufnehmen um ihn dann in einem Akt der Energieentladung füllen zu können. So entstehen oft unorthodoxe, z.B. an Tierfelle gemahnende Formen, die in einen formalen Diskurs mit organischen kreisförmigen Farbräumen treten. Helles leuchtendes Orange kontrastiert die dunkel abgemischten schlammigen Grün- und Brauntšne.
Dem Betrachter bleibt es überlassen, sich in diese Farbräume hineinzubegeben und dabei eigene, individuelle Farb- und Raumerfahrungen zuzulassen.

 

> marion landolt. first change. 23. januar 2003.